Schönheit & Kriminalität
Zu schön zum Morden? Wie uns der Halo-Effekt bei Straftaten beeinflusst
- Aktualisiert: 06.09.2024
- 14:05 Uhr
- Christian Stüwe
Pretty Privilege und Halo-Effekt: Das Wichtigste zum Thema
Das Pretty Privilege beschreibt das Phänomen, dass wir Menschen, die gängigen Schönheitsidealen entsprechen, bevorteilen. Wodurch diese es leichter im Leben haben.
In der Psychologie wird dies mit dem Halo-Effekt begründet, einem systematischen Beurteilungsfehler. Wirkt ein Mensch attraktiv auf uns, schreiben wir ihm automatisch weitere positive Eigenschaften zu.
Das Pretty Privilege zeigt sich beispielsweise bei attraktiven Kellner:innen, die mehr Trinkgeld bekommen. Auch vor Gericht spielt das Pretty Privilege eine Rolle. Wer schön ist, bekommt oft eine mildere Strafe.
Attraktiven Gangstern werden Verbrechen einfach nicht zugetraut, dafür gibt es viele Beispiele. Brutale männliche Verbrecher haben oft sogar viele weibliche Fans. Wir zeigen dir die bekanntesten Fälle.
Was ist das Pretty Privilege?
Aristoteles wusste es bereits vor etwa 2.400 Jahren: "Schönheit ist das beste Empfehlungsschreiben", sagte der griechische Philosoph und beschrieb somit schon in der Antike, was seit einigen Jahren als Pretty Privilege bekannt ist. Das Schönheitsprivileg bedeutet nichts anderes, als dass Menschen, die dem gängigen Schönheitsideal entsprechen, Vorteile gegenüber weniger attraktiven Zeitgenossen genießen.
Sei es im Beruf, wo schöne Menschen bessere Stellen bekommen und mehr verdienen. Sei es bei der Wohnungssuche, wo attraktive Menschen von Vermieter:innen bevorzugt werden. Sogar vor Gericht dürfen schönere Menschen auf mildere Strafen hoffen. Schon in der Schule bekommen gutaussehende Schüler:innen bessere Noten. Selbst Eltern bevorteilen oft ein Kind, das hübscher ist als seine Geschwister. Selbstverständlich haben es schöne Menschen auch leichter bei der Partnersuche.
Alles das ist in zahlreichen Studien belegt. Die Wirtschaftswissenschaftlerin Eva M. Sierminska fand beispielsweise heraus, dass attraktiv wahrgenommene Menschen bis zu 15 Prozent mehr verdienen als unattraktive Kolleginnen und Kollegen.
Im Gegensatz dazu werden weniger attraktive Menschen in vielen Bereichen des Lebens diskriminiert. Es gibt sogar ein Wort für diese Form der Diskriminierung: Lookism (im deutschen Sprachraum auch Lookismus). Lookism ist das exakte Gegenteil des Pretty Privilege. Was sogar soweit geht, dass wir unattraktiven Menschen eher ein Verbrechen zutrauen oder uns von ihnen bedroht fühlen.
Man könnte an dieser Stelle einwerfen, dass die Attraktivität und Schönheit eines Menschen im Auge des Betrachtenden liegt, wie es schon eine alte Weisheit besagt. Schließlich haben sich die Schönheitsideale in den letzten Jahrzehnten und Jahrhunderten immer wieder verändert und waren der Mode unterworfen.
Tatsächlich gibt es aber Merkmale, die eine zeitlose Gültigkeit besitzen. Ein symmetrisches Gesicht, volle, kräftige Haare und weiße, ebenmäßige Zähne beispielsweise. Eine reine, strahlende Haut ist ebenso ein zeitloses Schönheitsmerkmal, genauso wie große Augen bei Frauen und ein markantes Kinn und Wangenknochen beim Mann. Wer diese Merkmale besitzt, ist attraktiv. Das ist heute so und war zu den Zeiten von Aristoteles nicht anders.
Im Video: Das Geheimnis der Attraktivität
Was bedeutet der Halo-Effekt?
Das Pretty Privilege ist ein gesellschaftliches Phänomen. Die wissenschaftliche Erklärung, warum schöne Menschen Vorteile genießen, liefert die Sozialpsychologie. Der sogenannte Halo-Effekt beschreibt eine kognitive Verzerrung, eine systematische fehlerhafte Wahrnehmung und Beurteilung anderer Menschen.
Das im Deutschen als "Heiligenschein-Effekt" bezeichnete Phänomen wurde erstmals 1907 von Frederic L. Wells beobachtet und von dem Psychologen Edward L. Thorndike während des Ersten Weltkriegs beschrieben und benannt. Dem amerikanischen Psychologen fiel auf, dass gutaussehende Soldaten unabhängig von ihrer Leistung von ihren Vorgesetzten positiver beurteilt wurden. Weil die Soldaten attraktiv waren, schlossen ihre Vorgesetzten unbewusst daraus, dass sie auch gute Soldaten seien.
Die Vorgesetzten attestierten den attraktiven Soldaten automatisch Führungsstärke, einen starken Charakter und sogar eine gute Kondition. Die Attraktivität der Soldaten wurde mit anderen positiven Eigenschaften verknüpft, obwohl es darauf eigentlich keinen Hinweis gab.
Auch mehr als hundert Jahre später spielt der Halo-Effekt in unserem Leben und bei der Beurteilung von anderen Menschen eine große Rolle. Einer schlanken, attraktiven Frau schreiben wir fast immer zu, dass sie sportlich, fleißig und diszipliniert ist. Auch wenn das natürlich nicht so sein muss. Eine übergewichtige Person wird im Gegenzug oft als faul, undiszipliniert und sogar weniger intelligent abgestempelt. Wer einen gut sitzenden Anzug oder ein schickes Business-Kostüm trägt, wird als erfolgreich und kompetent wahrgenommen. Brillenträger:innen hängt das Vorurteil nach, intelligent, aber eher zurückhaltend zu sein.
Unser Gehirn steckt andere Menschen innerhalb des Bruchteils einer Sekunde aufgrund ihres Aussehens, ihres Auftretens, ihrer Stimme, Körperhaltung und -sprache in diese Schubladen. Gerade weil wir den Halo-Effekt selbst oft nicht wahrnehmen, sind die Auswirkungen auf unser tägliches Leben groß.
Welche Auswirkungen haben die beiden psychologischen Phänomene im Alltag?
Eine attraktive Kellnerin bekommt mehr Trinkgeld, ein attraktiver Versicherungsvertreter gewinnt schneller das Vertrauen seiner Kundinnen und Kunden und verkauft mehr Versicherungen. Der Halo-Effekt beeinflusst unsere Entscheidungen, das Pretty Privilege ist real.
Ein Beispiel dafür ist Alicia Schmidt. Die 400-Meter-Läuferin gehört nicht zu den erfolgreichsten deutschen Leichtathleten, bekommt aufgrund ihres attraktiven Aussehens aber deutlich mehr Aufmerksamkeit als sportlich stärker einzuschätzende Kolleginnen und Kollegen. Fast sechs Millionen Menschen folgen Schmidt auf Instagram, was ihr natürlich auch bessere Vermarktungsmöglichkeiten und Werbe-Deals einbringt.
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Generell spielt der Halo-Effekt in der Werbung eine große Rolle. Schöne Menschen werben für ein Produkt, die ihnen zugesprochen Attribute werden auf das Produkt übertragen. Dadurch entsteht ein Kaufinteresse, selbst wenn das beworbene Produkt nicht zwangsläufig besser oder günstiger als ein Konkurrenzprodukt ist.
Das Gegenteil des Halo-Effekts ist der Horn-Effekt, auf Deutsch Teufelshörner-Effekt. Menschen, die nicht den gängigen Schönheitsidealen entsprechen, werden oft mit negativen Eigenschaften in Verbindung gebracht und haben es entsprechend schwerer. Oft ist von einer "Verbrechervisage" die Rede, wenn jemand Narben oder Tattoos im Gesicht hat oder aufgrund einer kantigen Gesichtsform oder eines unfreundlichen Gesichtsausdrucks bedrohlich wirkt. Menschen, die so aussehen, trauen wir ein Verbrechen eher zu als anderen.
Pretty Privilege, Halo-Effekt und Verbrechen: Haben es schöne Mörder leichter?
Justitia, die Göttin der Gerechtigkeit, wird häufig mit verbundenen Augen dargestellt. Dies wird in neuerer Zeit meistens so gedeutet, dass vor Gericht alle Menschen gleich sind. Egal ob Mann oder Frau, arm oder reich, alt oder jung, schön oder hässlich. So sollte es eigentlich sein. Tatsächlich wirkt der Halo-Effekt aber auch bei Richterinnen und Richtern.
Eine Studie der amerikanischen "Asscociation for Psychological Science" ergab, dass Menschen, die vertrauenswürdiger und attraktiver aussahen, seltener zu einer Todesstrafe verurteilt wurden. Weshalb die These, dass es schöne Mörder leichter haben, zumindest in Bezug auf das Rechtssystem der USA zu stimmen scheint.
In einer anderen Studie wurden 60 Angeklagte vor Gericht beobachtet und nach den vier Merkmalen körperliche Attraktivität, Ordentlichkeit, Sauberkeit und Qualität der Kleidung beurteilt. Je besser die Beurteilung ausfiel, umso milder war in der Regel die verhängte Strafe.
Auch wenn natürlich noch weitere Faktoren in diesem Zusammenhang wichtig sind - beispielsweise auch die Attraktivität des Opfers eines Verbrechens -, kann festgehalten werden, dass das Pretty Privilege und der Halo-Effekt vor Gericht eine Rolle spielen. Schönen Menschen werden schlimme Verbrechen weniger zugetraut, die Chance, dass sie mit einer milderen Strafe davonkommen, ist groß.
Groupies und Fans: Wenn hübsche Verbrecher verehrt werden
Hybristophilie: Was ist das?
Die Faszination für brutale Verbrechen ist einer der Gründe, warum True Crime-Formate so beliebt und erfolgreich sind. Zum einen sorgen wahre Verbrechensfälle für ein Schaudern, zum anderen will man wissen, wie die Verbrechen ablaufen und funktionieren. Zweifellos übt das absolute Böse in Form von Serien-Mörder:innen einen Reiz auf uns aus.
Wenn Menschen sich aber tatsächlich in brutalste Gewaltverbrecher:innen verlieben, diese regelrecht vergöttern und sich von ihnen und ihren Taten sexuell angezogen fühlen, wird von Hybristophilie gesprochen. Dabei handelt es sich um eine sogenannte Paraphilie, eine sexuelle Neigung, die von der Norm abweicht.
Vor allem Frauen sind davon betroffen. Auch wenn es bisher relativ wenig Studien zu dem Thema gibt, geht die Wissenschaft davon aus, dass diese Frauen meistens selbst in ihrer Jugend Gewalt und sexuellen Missbrauch erlebt haben. Eine Vermutung der Wissenschaft ist, dass diese Frauen eine Beziehung mit einem Mann hinter Gittern anstreben, da sie diesen kontrollieren können und er ihnen gleichzeitig nichts tun kann.
Eine andere Erklärung der Psychologie ist, dass manche Frauen Morde und Gewalttaten als männlich wahrnehmen und den Täter sogar zu weiteren Taten anstiften oder Beihilfe leisten, da sie durch diese Taten sexuelle Erregung verspüren. Weshalb Hybristophilie auch als "Bonnie-und-Clyde-Syndrom" bezeichnet wird.
Eine dritte Gruppe von Frauen möchte unter Umständen einfach das Böse im Menschen erforschen und hofft gleichzeitig, die Gewalttäter mit ihrer Liebe bekehren zu können. Wie auch immer, Beispiele für brutale Mörder mit weiblichen Fans gibt es viele.
Wade Wilson
Ganz aktuell ist der Fall des zu Tode verurteilten Doppelmörders Wade Wilson. Obwohl der Amerikaner mit dem tätowierten Gesicht und dem Hakenkreuz unter dem Auge zwei Frauen umbrachte, schrieben zahlreiche Frauen dem Gericht Briefe und baten um Gnade für Wilson.
Jeremy Meeks
Einer der berühmtesten Fälle ist das ehemalige Gang-Mitglied Jeremy Meeks. Als Meeks 2014 wegen illegalem Waffenbesitz und schwerem Diebstahl verhaftet wurde, stellte die kalifornische Polizei seinen Mugshot, also das Foto von der Verhaftung, auf Facebook online. Das Bild ging sofort weltweit viral, die Berichterstattung in den Medien verhalf Meeks später, eine Karriere als Model zu starten.
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Ted Bundy
Ähnliches konnte bei dem amerikanischen Serien-Mörder Ted Bundy beobachtet werden. Obwohl Bundy in den 1970er Jahren mindestens 30 Frauen ermordete, hatte er viele weibliche Fans, die ihn während seines Prozesses unterstützten und für seine Unschuld plädierten. Im Gefängnis, wo er auf den Vollzug der Todesstrafe wartete, bekam der attraktive, charmante und charismatische Mörder Fan-Post von Frauen aus der ganzen Welt, darunter Nacktfotos und Heiratsanträge.
Im Gefängnis heiratete Bundy 1980 sogar eine seiner Bewunderinnen, die Ehe hielt bis zu einer Hinrichtung auf dem elektrischen Stuhl im Jahr 1989. Dass Bundy auch 30 Jahre später nichts von seiner morbiden Faszination verloren hatte, zeigte sich 2019, als Netflix eine Doku über den Serienmörder veröffentlichte und ein regelrechter Hype um Ted Bundy entstand.
Dschochar Zarnajew
Dschochar Zarnajew wartet derzeit in einem Gefängnis in den USA auf die Vollstreckung seines Todesurteils. Er wurde als "Boston-Bomber" bekannt. Gemeinsam mit seinem Bruder war er für den Anschlag auf den Marathon in Boston am 15. April 2013 verantwortlich. Drei Menschen starben, 264 wurden durch die Explosionen von zwei Sprengsätzen verletzt.
Obwohl sogar die Verteidiger Zarnajews nicht an seiner Schuld zweifelten, gab es während der Verhandlung Stimmen, dass der junge Terrorist mit den braunen Augen und der wuscheligen Frisur aufgrund seines unschuldigen Aussehens doch kaum für ein solches Verbrechen verantwortlich sein könnte.